Ein Start auf der Überholspur

Eines Abends, als ich von der Universität nach Hause kam, erregte der Newsletter von Schweizer Jugend forscht meine Aufmerksamkeit. In einem Artikel stand, dass ein:e Kandidat:in gesucht wurde, um mit «Science et voile avec Gaia» ein Abenteuer zu erleben. Ich erinnere mich, dass ich Mariasoles Erfahrung in diesem Zusammenhang aufmerksam verfolgt habe und davon geträumt hatte, eine ähnliche Erfahrung zu machen.

Da ich von Natur aus impulsiv bin, wartete ich nicht lange und schickte meine Bewerbung ab, um mein Glück zu versuchen. Nach über einem Monat erhielt ich endlich einen Anruf. Ich wurde zu einem Videokonferenzgespräch mit Thierry und Barbara eingeladen. Nach diesem Gespräch wurde mir klar, dass ich eine reelle Chance hatte, ausgewählt zu werden, aber ich wollte mich nicht zu früh freuen.

Einige Tage später erfuhr ich, dass ich an Bord der Gaia gehen kann, wenn die politischen Bedingungen in Brasilien es zulassen. Ich warte ungeduldig auf Nachrichten von Thierry und Barbara. Nach einigen Überlegungen entscheide ich mich, mich der Crew zwischen Rio de Janeiro und Paraty anzuschließen.

Die Wochen vor meiner Abreise sind ungewöhnlich lang, ich warte nur noch auf eines: Brasilien zu erreichen! Ich habe die Flüge erst drei Wochen vor der Abreise gebucht, was für mich, die gerne alles plant, außergewöhnlich ist.

“Science et Gaia” ist ein Angebot von Schweizer Jugend forscht und dem Astrophysikers Thierry Courvoisier. Seit 2 Jahren haben Teilnehmende und Alumni die Möglichkeit, an Bord des Segelschiffs “Gaia” von Courvoisier zu reisen und forschen.

«Tausend Leben, gespickt mit unzähligen Begegnungen»

Das Ziel des Projekts «Science et voile avec Gaia» ist es, dass der/die Kandidat:in eine Forschungsarbeit zu einem frei wählbaren Thema verfasst. Ich selbst wollte mich mit der brasilianischen Gesellschaft beschäftigen, da ich an der Analyse einer Problematik interessiert war, die ich gut kenne und die mich fasziniert, nämlich die Diskriminierung von Frauen.

Als ich jedoch in Brasilien ankam, stellte ich fest, dass es dort eine andere, viel sichtbarere Form der Diskriminierung gab: Rassismus. Die Trennung zwischen der weißen und der farbigen Bevölkerung ist in Rio sehr ausgeprägt und auf vielen meiner Fotos zu sehen. Ich nutzte also meinen Aufenthalt, um Beobachtungen zu machen und nahm außerdem an einer Führung über das afrikanische Erbe in Rio de Janeiro teil, bei der ich enorm viel über die Geschichte der Sklaverei in der Stadt lernte.

Für die Erstellung dieses Forschungsprojekts halfen mir Thierry und Barbara, indem sie ihr Netzwerk, aber auch ihr eigenes Wissen und ihre Erfahrungen einbrachten.

Ich habe es genossen, mit Thierry Courvoisier zu diskutieren und seinen Erfahrungen zu lauschen, als er vor der chinesischen Akademie der Wissenschaften eine Rede über die Wissenschaft und ihre politische Autonomie hielt. Das hat mich beeindruckt, schließlich waren all ihre Anekdoten eine interessanter als die andere. Sie hatten das Privileg, tausend Leben zu leben, die mit unzähligen inspirierenden Begegnungen und Reisen gespickt waren.

Ich hatte auch das Privileg, viele (unter anderem) brasilianische Segler zu treffen, von denen einer freundlicher war als der andere. Leider stellt die Sprache in Brasilien eine echte Barriere dar, da die meisten Einwohner nur Portugiesisch sprechen. Dennoch ist die Gastfreundschaft universell und ihre Lebensfreude unvergesslich.

Sich trauen, (fast) allein zu reisen

Vor meiner Abreise hatte ich mich enorm über die Sicherheitslage in Rio und generell in Brasilien informiert. Das Bild, das mir die Medien vermittelten, beruhigte mich nicht, und auch bei meinen Verwandten konnte ich keinen Trost finden!

Man muss dazu sagen, dass ich noch nie zuvor in Brasilien oder auch nur in Südamerika gewesen war. Die Reise, die mich diesem Ziel am nächsten gebracht hatte, war mein Aufenthalt in Costa Rica zwei Jahre zuvor gewesen.

Ich kam nachts in Rio an, an einem unbekannten Ort und umgeben von Menschen, die kein Englisch sprachen. Da ich selbst kein Portugiesisch spreche, waren diese ersten Schritte in einem unbekannten Land etwas chaotisch. Aber als ich dann im Taxi saß, das mich zu meiner Jugendherberge brachte, konnte ich den Moment voll und ganz genießen. Es war etwa 20 °C wärmer als in der Schweiz, und die Luft war deutlich feuchter. Was für ein Gefühl, als ich zum ersten Mal Christus den Erlöser erblickte. Er war violett beleuchtet und ich hatte keinen Zweifel mehr daran, wo ich mich befand.

«Was für ein Gefühl, als ich Christus den Erlöser zum ersten Mal sah. Er war violett beleuchtet und ich hatte keinen Zweifel mehr daran, wo ich mich befand.»

Ich hatte das Glück, vier Tage Zeit zu haben, um Rio nach meinen Wünschen zu besuchen. Zwischen Christus, dem Zuckerhut, der Copacabana und Ipanema verliebte ich mich in die wunderbare Stadt. Die Vegetation ist üppig und die Cariocas könnten nicht gastfreundlicher sein. Die Geschichte der Stadt ist sehr reich, aber ihre schwere Vergangenheit im Zusammenhang mit der Sklaverei und der portugiesischen Herrschaft ist prägend. Was für ein Glück, dass ich mich auf diese Weise bereichern konnte.

Nachdem ich diese ersten vier Tage in Rio verbracht hatte, traf ich mich schließlich mit Thierry und Barbara im Yacht-Club der Stadt. Das ist der Ort, an dem ihr Boot in Rio lag, am Fuße des Zuckerhuts. Nachdem ich wochenlang nur mit digitalen Mitteln kommuniziert hatte, war es ein komisches Gefühl, die beiden in Fleisch und Blut zu sehen. Diese Begegnung war der Beginn des Abenteuers auf Gaia.

Gemeinsam besuchten wir noch ein wenig Rio, bevor wir nach Ilha Grande aufbrachen. Der Start über das offene Meer war außergewöhnlich, wir konnten die berühmten Strände und die Christusstatue vom Atlantik aus bewundern. Die Insel prägte sich uns dann wegen ihrer wunderschönen Vegetation und ihrer wunderbaren Ruhe ein. Wir begegneten nur sehr wenigen Menschen und genossen die unglaubliche Landschaft. Schließlich endete mein Abenteuer in Paraty, einer Kolonialstadt mit einem wunderschönen historischen Zentrum.

Rio, eine Stadt, die so viel zu bieten hat

Allein zu sein hat mir die Möglichkeit gegeben, viele Menschen kennenzulernen und mich mit Staatsangehörigen aus der ganzen Welt auszutauschen. Ich konnte ausprobieren, wozu ich fähig war, und neue Grenzen entdecken. Ich war noch nie an einem Ort gewesen, der als gefährlich gilt. Als ich allein war, erschien mir das noch beeindruckender!

Nachdem ich mich gründlich informiert hatte, konnte ich meine Ängste beiseiteschieben und diese Stadt, die so viel zu bieten hat, in vollen Zügen genießen. Mir wurde klar, dass es einen großen Unterschied zwischen den Berichten der Medien, den Aussagen schlecht informierter Personen und der Realität gibt.