Biologie | Umwelt

 

Sarah Marmorosch, 2003 | Uetendorf, BE

 

In den letzten Jahren wurden immer mehr Tierarten entdeckt, deren Lautäusserungen sich je nach Region unterscheiden. Während bereits zahlreiche Singvögel bekannt für ihre Dialekte sind, konnten erst bei wenigen Säugetieren regionale Sprachunterschiede festgestellt werden. Das Entdecken von Dialekten im Tierreich ist von besonderem Interesse, da sie sowohl als Signal als auch als Triebkraft der Evolution dienen. In dieser Arbeit wurden die regionalen Sprachunterschiede von Alpenmurmeltieren untersucht. Hierfür wurden Warnrufe zweier in der Schweiz lebenden Alpenmurmeltierpopulationen analysiert und miteinander verglichen. Die Resultate zeigen deutlich, dass Dialekte bei Alpenmurmeltieren vorhanden sind.

Fragestellung

Das Ziel dieser Arbeit war die Untersuchung der sprachlichen Dialekte von Alpenmurmeltieren in der Schweiz. Hierfür wurde die folgende Fragestellung formuliert: Inwiefern unterscheidet sich die akustische Struktur der Warnrufe (Einzelpfiffe und Pfiffserien) von Alpenmurmeltieren zwischen einer Population im Münstertal (GR) und einer Population im Kiental (BE)?

Methodik

In einem ersten Schritt wurden während einer mehrwöchigen Feldarbeit sowohl Einzelpfiffe als auch Pfiffserien von Alpenmurmeltieren zweier Populationen (Kiental und Münstertal) aufgenommen. Anschliessend konnten die aufgenommenen Warnrufe mit Hilfe des Programms Audacity in Spektrogrammen dargestellt und analysiert werden. Dabei wurden verschiedene akustische Parameter aufgestellt, wie zum Beispiel die Initial-, Höchst- und Endfrequenz, welche bei jedem Schrei evaluiert worden sind. Zum Schluss wurde eine statistische Analyse mit den so gewonnenen Daten mit Hilfe der Programmiersprache R durchgeführt. Dabei wurden die erhobenen Parameter der beiden Populationen mittels t-Tests miteinander verglichen.

Ergebnisse

Insgesamt wurden während der Feldarbeit 86 Warnrufe (25 Einzelpfiffe und 61 Pfiffserien) aufgenommen, welche in die statistische Analyse miteinbezogen werden konnten. Bei der Auswertung konnte sowohl bei den Einzelpfiffen als auch bei den Pfiffserien festgestellt werden, dass die Frequenz im Münstertal höher ist. Während bei den Einzelpfiffen aber nur die Endfrequenz und die Frequenz bei höchster Intensität im Münstertal signifikant höher ist, konnte bei den Pfiffserien gezeigt werden, dass alle Frequenzangaben der Schreie im Münstertal signifikant höher sind. Zusätzlich konnte bei den Pfiffserien festgestellt werden, dass der erste Schrei jeder Pfiffserie im Münstertal eine längere Dauer aufweist.

Diskussion

Anhand meiner Resultate konnte bestätigt werden, dass Alpenmurmeltiere Dialekte pflegen. Um die Ursache für das Entstehen dieser Dialekte bei Alpenmurmeltieren zu erklären, wurden drei Hypothesen aufgestellt. Eine erste Hypothese stellt die Anpassung an den Lebensraum dar. Damit die Signalübertragung je nach Umweltbedingung gewährleistet ist, kann vermutet werden, dass die Murmeltiere ihren Warnruf an den jeweiligen Lebensraum angepasst haben. Dabei könnten die ausschlaggebenden Unterschiede einerseits die Dichte der Vegetationsdecke, andererseits aber auch die unterschiedliche Intensität und Qualität der Hintergrundgeräusche sein. Die zweite Hypothese erklärt die Entstehung der Dialekte als Folge einer sozialen Anpassung. Bei der Lautäusserung hätten sich bei einzelnen Individuen Fehler einschleichen können, welche durch soziales Lernen von den Artgenossen übernommen wurden. Das Entstehen von Dialekten aufgrund von genetischen Unterschieden stellt die dritte Hypothese dar. Da für die Lautäusserung bei vielen Säugetieren eine genetische Grundlage vorhanden ist, könnte erwartet werden, dass die Warnrufe mit zunehmender genetischer Distanz unterschiedlicher sind. Mit Umsiedlungsexperimenten könnte untersucht werden, welche der Hypothesen die tatsächliche Ursache für das Entstehen der Dialekte ist.

Schlussfolgerungen

In dieser Arbeit wurde erstmals Forschung zu den sprachlichen Dialekten von Alpenmurmeltieren in der Schweiz betrieben. Zusammenfassend zeigt sie deutlich, dass Unterschiede in der akustischen Struktur der Warnrufe von Alpenmurmeltieren vorhanden sind. Um meine Resultate, besonders diejenige der Einzelpfiffe, besser abzusichern, sollten weitere Daten gesammelt und ausgewertet werden. Um die Ursache für das Entstehen der Dialekte zu untersuchen, würden Umsiedlungsexperimente eine geeignete Methode darstellen. Diese Experimente mit wildlebenden Tieren durchzuführen ist aber aus ethischen Gründen zweifelhaft. Eine allfällige Möglichkeit wäre der Austausch von Tieren, die bereits in Gefangenschaft leben, zwischen zwei Einrichtungen, wie zum Beispiel Zoos oder Tierparks.

 

 

Würdigung durch die Expertin

Dr. Yvonne Zürcher

Sarah Marmorosch greift eine Frage auf, welche in Fachkreisen gegenwärtig intensiv diskutiert wird. Die Arbeit zeugt von einem grossen Mass an Eigeninitiative, Ehrgeiz und Begeisterung für das Thema. Die Erkenntnisse werden gründlich reflektiert, mit aktuellen Forschungsresultaten verglichen und in einen breiten Kontext gesetzt. Gewisse Limitationen werden dabei ebenso klar benannt wie mögliche Lösungsansätze, mit welchen das Thema noch tiefgreifender bearbeitet werden könnte. Dies zeugt von einem ausgeprägten Verständnis sowohl für das Thema und als auch der wissenschaftlichen Vorgehensweise.

Prädikat:

hervorragend

Sonderpreis für junge Linguistinnen

 

 

 

Gymnasium Thun mit FMS
Lehrer: Beat Schlüchter