Im Jahr 2028 werden uns 36’000 Informatiker:innen fehlen. Dies geht aus einer Studie der ICT-Berufsbildung Schweiz hervor. Die größte Gefahr? Die Verluste für private Unternehmen, die auf diese Mitarbeitenden angewiesen sind, um ihre Dienstleistungen und Produkte zu entwickeln. Der Verband schlägt Alarm: Die Schweiz muss so schnell wie möglich qualifiziertes Personal im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) ausbilden. Eine Quelle, die noch nicht ausgeschöpft ist, ist die weibliche Arbeitskraft. Frauen sind in diesen Berufen noch immer unterrepräsentiert. Im Jahr 2020 werden in der Schweiz nur 18% der Frauen eine Karriere im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT) anstreben. Wie können wir das ändern? Wo soll man anfangen? Und wie gelingt es, MINT attraktiv zu präsentieren?

Zahlreichen Forschungsergebnissen zufolge ist der erste Schritt die Bildung. Mädchen bekommen schon früh vermittelt, dass es die Jungen sind, die «gut in Mathe» sind. Um dem entgegenzuwirken, plädieren einige Bildungskreise für die Rückkehr zu geschlechtsneutralen Lehrplänen. Seit den 1990er Jahren sind sie in ganz Europa auf dem Vormarsch. Und die Bilanzen sind beeindruckend: In Ländern, in denen Mädchen und Jungen getrennt unterrichtet werden, schneiden Mädchen in den Naturwissenschaften statistisch gesehen besser ab. *(Bréau, Lentillon-Kaestner & Hauw, 2016)

In der Schweiz geht es nicht darum, zu einem geschlechtsneutralen System zurückzukehren, sondern vielmehr um eine Initiative eines Angebots parallel zum Schulsystem. Vielleicht haben Sie schon von Coding Girls oder IT tout feu tout flamme oder Robots c’est l’affaire des filles gehört – all diese geschlechtsneutralen Angebote haben das Ziel, das Image von MINT zu verändern und mehr Frauen anzuziehen.

Innerhalb dieser Kategorie von Angeboten bietet die Stiftung Schweizer Jugend forscht ein einzigartiges Programm an: Kids@science. Ein gleichgeschlechtliches Sommercamp, in dem die Jugendlichen tagsüber praktische Erfahrungen sammeln und MINT-Forschung betreiben und abends spielerische Aktivitäten durchführen können. Eine Woche, um Spaß zu haben, Selbstvertrauen zu gewinnen und das Interesse an den Naturwissenschaften zu bestätigen oder zu wecken.

In diesem Artikel befassen wir uns mit einer der am häufigsten gestellten Fragen: Warum werden Jungen und Mädchen getrennt unterrichtet? Wir geben Ihnen eine Antwort in drei Punkten:

1. Um Selbstvertrauen zu gewinnen

Um ein Studium an der ETH Lausanne zu beginnen, muss man Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten haben, das sogenannte «Selbstbild». Die Akademien der Wissenschaften Schweiz haben über 6000 Personen nach ihrem Interesse an Technik befragt. In ihrem Bericht mit dem Titel MINT-Nachwuchsbarometer werden das Selbstbild und die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen in ihrem Verhältnis zu den Naturwissenschaften analysiert. Auf einer Skala von 0 bis 100 liegt der Durchschnitt bei Jungen bei 69 und bei Mädchen bei 44. *(siehe Seite 6 des Berichts)

Eine überraschende Feststellung. Die Forscherin Nicole Mosconi, die sich auf Fragen im Zusammenhang mit Geschlecht und Bildung spezialisiert hat, bestätigt diese Daten:

«In der Schule kann man beobachten, dass Mädchen in Gegenwart von Jungen dazu neigen, sich selbst zu unterschätzen, insbesondere in Bereichen, die als männlich konnotiert sind, während Jungen dazu neigen, sich selbst zu überschätzen» (Mosconi, 2004). (Mosconi, 2004, S. 166).

Auch die PISA-Studie 2018 kam zu diesem Ergebnis. Dabei handelt es sich um die umfassendste internationale Untersuchung des naturwissenschaftlichen Lernens in den verschiedenen OECD-Ländern:

«Selbst wenn Mädchen in Mathematik mit Jungen gleichziehen, neigen sie dazu, sich als weniger ausdauernd, weniger offen für Problemlösungen und weniger intrinsisch und instrumentell motiviert zum Mathematiklernen zu bezeichnen, haben ein geringeres Selbstwertgefühl und geben an, in Mathematik ängstlicher zu sein als Jungen».

Konkret bedeutet dies, dass bei gleichem Notendurchschnitt am Ende der Sekundarstufe die Wahrscheinlichkeit, dass ein Junge einen naturwissenschaftlichen Zweig wählt, wesentlich höher ist. Durch eine spielerische und pädagogische Woche haben die Kids@science vor allem das Ziel, die Kinder aufzuwerten und ihr Selbstvertrauen zu stärken, damit sie sich legitimiert fühlen, eine MINT-Karriere zu verfolgen.

2. Um Jugendliche durch «Role Models» zu inspirieren

Viele Faktoren beeinflussen die Berufswahl. Die im Rahmen des MINT-Barometers erhobenen Antworten zeigen die Bedeutung von «Vorbildern». So gaben viele der befragten Studierenden und Berufstätigen an, dass ihr Vater oder Großvater sie dazu inspiriert hat, eine MINT-Karriere anzustreben. Weibliche Eltern werden so gut wie nie erwähnt.

Es ist schwierig, sich zu identifizieren, wenn in der Familie, in der Werbung oder in Filmen die Wissenschaftler immer männlich sind. So sagte eine unserer jungen Alumna in einem Interview:

«Wenn ich mir einen Wissenschaftler vorstelle, stelle ich mir Bill Gates, Elon Musk, aber nie eine junge Frau vor».

Die Bereitstellung von weiblichen Rollenmodellen ist daher ein wichtiger Bestandteil in der Förderstrategie. Mit einer geschlechtsneutralen Woche bringen wir viele gleichgesinnte Mädchen zusammen, die wir sowohl mit Frauen als auch mit männlichen Wissenschaftlern in Kontakt bringen.

3. Um eine Woche ohne Bias zu erzeugen

Der erste Ort, an dem Stereotype reproduziert werden, ist die Schule. Selbst sensibilisierte Lehrer:innen neigen dazu, ihre Erwartungen auf ihre Schüler:innen zu projizieren. So wird beispielsweise Jungen häufiger das Wort erteilt. *(Beaman, Wheldall & Kemp, 2006; Ruel, 2009; Warrington & Younger, 2000) Die Lehrpersonen würden im naturwissenschaftlichen Unterricht die Mädchen sogar weniger fordern und ihnen manchmal einfachere Varianten vorschlagen.

Auf der Seite der Kinder ist die Schule ein gemischter Ort, der die «Inszenierung» von Männlichkeit und Weiblichkeit begünstigt (Mosconi, 1989). In einer gemischten Umgebung verstoßen Mädchen selten gegen die Weiblichkeitsnormen, die von ihnen verlangen, «auf ihr Aussehen zu achten, den Jungen den Raum und die Aufmerksamkeit des Lehrers zu überlassen und darauf zu verzichten, zu glänzen, um nicht mit ihnen in Konkurrenz zu treten». Sie verinnerlichen schnell die Tatsache, dass es nicht «sexy» ist, eine Streberin zu sein, und gehen manchmal sogar so weit, sich selbst zu sabotieren.

Eine geschlechtsneutrale Woche ist genau die richtige Gelegenheit, um die Wissenschaft wieder in den Mittelpunkt zu rücken und sexistische Vorurteile weitestgehend zu neutralisieren. In diesen Camps wird der Teilnahme aller Teilnehmer:innen besondere Aufmerksamkeit gewidmet.