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Alexander Raskin, 2000 | Grüningen, ZH

 

Es bleibt eine hypothetische und mitunter kontrovers diskutierte Frage, was bei einem deutschen Angriff auf die Schweiz im Jahr 1940 konkret passiert wäre. Im Rahmen dieser Arbeit wurde versucht, genau diese Frage mittels eines neuen wissenschaftlichen Ansatzes bestehend aus Quellenstudium und Erstellen einer Gefechtssimulation zu beantworten. Dazu wurden historische Dokumente und Literatur ausgewertet, anhand der Spielmechanik eines Computerspiels ein mathematische Simulationssystem erstellt und die Ergebnisse anschliessend dreidimensional visualisiert.

Fragestellung

I. Kann man unter Berücksichtigung möglichst vieler Einflussfaktoren ein Simulationssystem erstellen mit er die Analyse historischer Feldzüge möglich wird und damit einen neuen wissenschaftlichen Ansatz aufzeigen? II. Was wäre bei einem deutschen Angriff auf die Schweiz im Jahr 1940 passiert? Zentral sind dabei die Fragen, wie lange ein Feldzug gedauert hätte, wie hoch die Verluste gewesen und wie effektiv die Schweizer Abwehrbemühungen gewesen wären. III. Wie kann man die Ergebnisse der Simulation möglichst informativ, detailliert und übersichtlich abbilden?

Methodik

Im historischen Teil der Arbeit wurden anhand originaler Unterlagen und einschlägiger Literatur die deutschen Angriffsstudien und Schweizer Verteidigungskonzeptionen analysiert. Der Fokus lag auf Schwerpunkte in Angriff und Verteidigung wie auch auf Kräfteansätze und operative Aufgaben. Ebenso wurde evaluiert, wann ein deutscher Angriff auf die Schweiz am wahrscheinlichsten stattgefunden hätte. Die Simulation orientierte sich an dem operativen Beziehungsdreieck zwischen Kräfte, Zeit und Raum. Die in dem Spiel Hearts of Iron IV vorhandenen Einheitenwerte wurden dabei auf die historischen Truppenverbände übertragen. Anhand der im Spiel vorhandenen Geländeparameter wurde das Schweizer Territorium in Hexagone eingeteilt und jedem Hexagon ein Geländetyp zugewiesen. Die Berechnung der Gefechte erfolgte anhand der Spielmechanik des Computerspiels Hearts of Iron IV in Microsoft Excel. Berechnet wurden die Dauer der Gefechte und die Verluste auf beiden Seiten. Die Ergebnisse der Simulation wurden mittels des Geoinformationssystems ArcGIS Pro in einer Karte mit Zeiteigenschaft teils dreidimensional visualisiert. Sie veranschaulichte den Verlauf der Kamphandlungen und hob Schlüsselereignisse wie auch den stündlich aktualisierten Frontverlauf hervor. Zusätzlich wurden Informationen über Gelände und Einheiten dargestellt.

Ergebnisse

Gemäss Simulation wäre die operative Entscheidung nach drei Tagen gefallen. Der deutschen Wehrmacht wäre gelungen, die Lufthoheit zu erringen, sämtliche im Flachland stationierten Schweizer Verbände in den Voralpen einzukesseln und alle Eingänge zur Zentralraumstellung zu besetzen. Die Verluste auf beiden Seiten hätten gemäss Simulation ungefähr 30‘000 Ausfälle betragen. Vor allem die spezialisierten Kräfte der deutschen Wehrmacht hätten teils empfindliche Verluste erlitten.

Diskussion

Es zeigte sich, dass die Kämpfe trotz der schnellen Entscheidung sich zäh und langwierig gestaltet hätten. Durch das Schweizer Dispositiv wäre der Vormarsch der Wehrmacht verzögert worden. Vor allem im Gebirge die deutschen Kräfte höhere Verluste als im Flachland erlitten. Gleichzeitig wurde klar, dass die Simulation unter Betrachtung der Grundprinzipien des Gefechts nach Clausewitz nur ein abstraktes Abbild des Kampfgeschehens liefern und individuelle Faktoren nur in Teilen berücksichtigen konnte. Auch wurden der politische Kontext und die kollektive psychologische Dimension nicht erfasst. Auch kritisch zu hinterfragen war das Luftlandeunternehmen in der Simulation. Das vorgesehen Gelände eignete sich nicht für Fallschirmjägeroperationen. Geeigneter und operativ nachhaltiger wären Kommandoaktionen an operativ wichtigen Stellen gewesen. Ebenso hätten eine genauere Positionierung der Einheiten und die Mitberücksichtigung weiterer Faktoren die Simulation genauer gemacht.

Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse zeigen, dass die Schweizer Armee bis Ende des zweiten Tages sich in die Zentralraumstellung hätte zurückzuziehen können. Die Schweiz wäre im Jahr 1940 nicht in der Lage gewesen, einen deutschen Angriff abzuwehren. Gleichwohl hätte der hinhaltende Widerstand erhebliche Verluste bei der Wehrmacht verursacht. Ein deutscher Überfall hätte keinen grossen Mehrwehrt für die deutschen Kriegsanstrengungen gebracht. Es zeigte sich, dass die Simulation sich bewährt hat und nach Berücksichtigung weiterer Faktoren eine zuverlässige Grundlage für die Simulation historischer Feldzüge bilden und weiterentwickelt werden könnte.

 

 

Würdigung durch den Experten

Prof. Dr. Rudolf Jaun

Die Arbeit zeichnet sich in dreifacher Weise aus: 1. Noch nie wurde die unter dem Codenamen Tannenbaum ins Auge gefasste Angriffs-Studie der Wehrmacht auf die Schweizer Armee mittels einer aufwändigen Simulation operationalisiert. 2. Die Angriffsaktion bzw. die Abwehr werden historisch kontextualisiert. 3. Der Autor reflektiert sowohl grundsätzlich die Simulation als Methode wie die Resultate der auf Oktober 1940 angesetzten Simulation der Gefechte zwischen Wehrmacht und Schweizer Armee, welche deren Niederlage bei beträchtlichen deutschen Verlusten nach vier Kampftagen prognostiziert.

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Prädikat:

hervorragend

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Freies Gymnasium Zürich
Lehrer: Marcel Engel