Geschichte | Geographie | Wirtschaft | Gesellschaft

 

Eva Burkhard, 2002 | Bözberg, AG

 

Der Prozess der Einführung der Ehe für alle verlief in Deutschland, Irland und der Schweiz unterschiedlich. Diese Arbeit analysiert diese drei unterschiedlichen Prozesse der Öffnung der Ehe sowie Faktoren, welche die schlussendlichen Einführungszeitpunkte beeinflussten: politisches System, politisches Handeln innerhalb des Systems sowie gesellschaftliche Faktoren, die anhand von Gegenargumenten eingeordnet wurden. Die Analysen der einzelnen Länder werden anschliessend miteinander verglichen. Damit können die verschiedenen Einführungszeitpunkte sowie die vergleichsweise späte Einführung der Ehe für alle in der Schweiz begründet werden. Zudem werden Schlussfolgerungen zum Umgang mit Minderheitenrechten in der Schweiz gemacht. Festgestellt wird, dass die Einführungszeitpunkte der Ehe für alle hauptsächlich systembedingt sind. Auch die charakteristischen politischen Handlungsmuster beeinflussten die Einführungsprozesse und -zeitpunkte. In der Schweiz bewirken somit die direktdemokratischen Elemente und deren Effekte auf das politische Handeln einen längeren Einführungsprozess. Diese müssen folglich in der Schweizer Minderheitenpolitik beachtet werden.

Fragestellung

Für die Analyse der Einführungen der Ehe für alle in Deutschland, Irland und der Schweiz wurden folgende Fragestellungen gesetzt: (I) An welchen Faktoren politischer oder gesellschaftlicher Natur lassen sich die verschiedenen Einführungszeitpunkte der Ehe für alle diesen drei Ländern festmachen? (II) Welche Gründe führten dazu, dass die Schweiz die Ehe für alle Jahre nach Irland und Deutschland einführte? (III) Was lässt sich aus den Ergebnissen dieser Analyse über den Umgang mit Minderheiten in der Schweizer Politik schliessen?

Methodik

Für die empirische Analyse der Eheöffnungen der drei Länder wurden diverse Vergleichsparameter, die aus einem Interview mit einer Historikerin für eine Publikation abgeleitet wurden, ausgewertet und verglichen. Zu diesen zählten unter anderem politisches System, politisches Handeln innerhalb des Systems, genauer Einführungsverlauf sowie Wichtigkeit gesellschaftlicher Werte wie der Religion. Die Recherche erfolgte durch öffentlich zugängliches Material aus der Parlamentstätigkeit sowie Sekundärliteratur. Die gesellschaftlichen Werte wurden anhand der von den Oppositionen verwendeten Argumente erarbeitet.

Ergebnisse

In Irland besprach erst ein vom Parlament ernannter Verfassungskonvent die Eheöffnung, bevor das Parlament diese beschloss und sein Entscheid durch einen Volksentscheid in einer Referendumsabstimmung in 2015 bestätigt wurde. In Deutschland führte in 2017 eine Mischung aus Druck auf die Koalitionsregierung, Wahlkampfabsichten und eine Aussage der damaligen Bundeskanzlerin zur schnellen Eheöffnung, nachdem das Thema lange von der Koalitionsregierung blockiert worden war. In der Schweiz waren mehrere direktdemokratische Elemente (Konkordanz, Zweikammersystem, Referendumsrecht etc.) am Einführungsprozess beteiligt, was dessen lange Dauer auch begründet. Alle drei Einführungsverläufe verliefen charakteristisch für ihr jeweiliges Land, und von den drei Oppositionen wurden sehr ähnliche Argumente verwendet.

Diskussion

Wie vermutet, lassen sich die verschiedenen Einführungszeitpunkte durch die politischen Systeme und den dadurch bedingten politischen Handlungsmechanismen begründen: alle drei Länder führten die Ehe für alle charakteristisch für ihr Land ein. Die späte Einführung in der Schweiz liegt daher an der direkten Demokratie. Diese Beobachtungen müssten noch durch weitere Fallbeispiele bestätigt werden. Wie ausgeprägt die gesellschaftlichen Werte waren, kann nicht gesagt werden; auch hier wäre eine intensivere Analyse nötig. Trotzdem wird vermutet, dass diese Werte in der Schweiz durch die direktdemokratischen Elemente mehr am politischen Prozess involviert sind und dadurch die Rolle der politischen Systeme in den Einführungsprozessen einmal mehr verdeutlichen.

Schlussfolgerungen

Mit meiner Arbeit lässt sich viel über die Schweizer Politik und den Umgang mit Minderheiten darin lernen. Es wird zum Beispiel verständlich, warum die Eheöffnung so viel länger als in anderen Ländern dauerte und warum genau dies ein integraler Teil der Schweiz ist und auch von Vorteil für eine Minderheit sein kann. Weiter wird auch die Wichtigkeit von Kontaktpunkten zwischen Mehrheit und Minderheit erkenntlich, durch welche Prozesse wie die Eheöffnung auf lange Dauer beschleunigt werden könnten. Solche Kontaktpunkte könnten durch Lobbyismus und Bildung kreiert werden.

 

 

Würdigung durch die Expertin

Dr. Ursula Meyerhofer Fahlbusch

Die stringent geschriebene Arbeit liefert eine Anleitung für Akteur*innen von Minderheitenpolitik in der Schweiz. Sie ist brauchbar für alle, die sich für Minderheiten einsetzen wollen. Aufgebaut ist die Arbeit auf einer Analyse der politisch-gesellschaftlichen Entscheidungsfaktoren für die Einführung der «Ehe für alle» in drei Ländern. Diese ist lesefreundlich und transparent dargelegt. Die Herangehensweise solid-originell und aussagekräftig.

Prädikat:

sehr gut

 

 

 

Alte Kantonsschule Aarau
Lehrerin: Katrin Brupbacher